Alles hat seine Zeit. Jedes Ding hat seine Stunde. Und jetzt ist nicht die Stunde für alte Reflexe und überkommene Rituale. Denn wir werden alle feststellen, dass 2020 bestenfalls die Ouvertüre für etwas sehr viel größeres war. Lassen wir an dieser Stelle die medizinischen und menschlichen Tragödien außer Acht, für ein Jahr 2021, welches zu einem echten Schicksalsjahr für die gesamte Wirtschaft werden wird. Nicht nur für unsere Branche. Denn ganz egal wie krisenfest die Spielwarenbranche sich erwiesen hat, wie unglaublich erfolgreich einzelne Firmenkonjunkturen sind, das sollte uns niemals vergessen lassen, dass wir alle gemeinsam in einem System von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten stehen. Und wenn um uns herum die Dämme brechen, dann werden auch wir in unsere Branche kräftig paddeln müssen um nicht unterzugehen.
Wir sind alle mit relativ vollen Kassen in das Jahr 2020 gegangen. Verträge, die sich auf 2020 ausgewirkt haben, wurden üblicherweise schon sehr früh in 2019 geschlossen. D.h. viele Auswirkungen der derzeitigen Krise sehen wir nicht, weil da ein systemischer Zeitversatz besteht. Und selbst wenn Inhalte nachverhandelt wurden, weil es die Situation einfach erforderte, wenn das finanzielle Einbußen bedeutete, dann doch immer auf einer relativ hohen einmal im "Normalbetrieb" verhandelten und antizipierten Grundlage. Der Staat hat sich mit Abermilliarden aufgemacht zu unterstützen und das Insolvenzrecht soweit geändert, dass so mancher jetzt schon insolvent ist, ohne dass er es merkt. Das wird 2021 so nicht weitergehen (können). Wer soll denn eines Tages für das alles aufkommen? Im Grunde tauschen wir doch damit nur eine alles vernichtende gigantische Explosion gegen einen über Jahr(zehnt)e schwelenden Flächenbrand. Eines nicht weniger schädlich als das andere.
Und jetzt gehen wir in 2021 mit einer vollkommen anderen Ausgangslage. Viele davon mit bedenklich geleerten bis leeren Kassen. Spätestens am 01.01.2021 stehen wieder alle Uhren auf Null und wir müssen (vorher) unser Verhältnis mit unseren Geschäftspartnern ganz neu verhandeln. Und zwar (vielleicht) ohne die Perspektive einer Erfolgsstory in 2021 und mit möglicherweise schwelenden Altlasten im Hintergrund - bei uns und unseren Geschäftspartnern gleichermaßen. Wenn es dabei etwas beruhigendes fast gleichmachendes gibt, so ist es die Tatsache, dass Größe hier nicht hilft. Ich möchte heute kein internationaler Medien- und Entertainment-Multi sein, der in seinem Imperium auch Freizeitparks und Kreuzfahrtschiffe hat. Was auf der einen Seite mit harter Arbeit verdient wird, wandert dort in ein Millionengrab. Die Frage wird sein, ob uns bei dieser Neuverhandlung und eigenen Standortbestimmung alte Rituale und alte Konzepte weiterhelfen werden, oder ob wir nicht in einigen Dingen ganz neu anfangen sollten.
Um nur einen einzigen Aspekt einer durchaus etwas komplizierteren Gesamtlage herauszupicken: ist in 2020/2021 wirklich Zeit und Platz für Jahresgespräche, wo sich Handelsmanager*innen und Vertreter*innen der Industrie im alljährlichen Hahnen-/Hähninnenkampf gegenseitig die Muskeln zeigen? Und dabei geht meine Frage mehr an den Handel, als an die Industrie. Geht´s jetzt wirklich um das Gefeilsche um die dritte Nachkommastelle und um die immer weitere (vorgebliche) Verbesserung von Konditionen, welche die Industrie mit jeder Neuheitenwelle in der Preisgestaltung antizipiert und so manches Produkt inzwischen ein Preisniveau erreicht hat, welches schwer erklärbar ist? Mit der Gefahr, dass der Kunde den Preisauftrieb nicht mehr hinnimmt und nur noch auf den Preis schaut und nur noch dort kauft wo der Rabatt wohnt? Mit dem Risiko, dass immer unbesiegbarere Gegner/Wettbewerber im (Online-)handel entstehen, die am Schluss zu einer überschaubaren Anzahl von Branchen-Oligopole mutieren, die ganz am Ende den Rest des Handels und der Industrie entweder draußen vor der Tür stehen lassen oder ungehindert die Regeln bestimmen? Ich frag da für nen Freund.
Deswegen sage ich "weg mit dem Jahresgespräch!". Jetzt ist nicht die richtige Zeit für nostalgische Überbleibsel toxischer Maskulinität (die auch von Managerinnen gerne übernommen werden). Es ist an der Zeit, dass sich Industrie und Handel in eine Analyse von Prozessen begeben. Grundfrage kann es nicht länger sein, wie bekomme ich den größtmöglichen finanziellen Vorteil aus einem bestehenden System, indem ich entweder anderen die finanziellen Lasten aufbürde oder das System immer mehr durch Weglassen schwäche, sondern wie optimiere ich das System selbst. Oder noch viel disruptiver: muss das derzeitige System durch ein vollkommen neues ersetzt werden, weil es einfach nicht mehr zeitgemäß ist? Und das alles nicht in der üblichen Frontstellung zwischen Industrie und Handel, sondern mit echtem Innovationswillen und vielleicht (ganz verwegen) in Partnerschaft?
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